Väter stärker einbeziehen – Familienpolitische Weichenstellungen vornehmen

Positionspapier der LAG-Väterarbeit

Die Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit in NRW ist 2016 angetreten, Vätern Wege in die Familie zu ebnen und ihnen eine gute Beziehung zu ihren Kindern und gelingende und gleichberechtigte Partnerschaften zu ermöglichen. Vatersein – davon sind wir überzeugt – ist eine Bereicherung im Leben von Männern und eine aktive Vaterschaft wirkt sich positiv auf die Beziehung zu ihren Kindern und ihre partnerschaftliche Beziehung aus.

Familienpolitische Rahmenbedingungen müssen Vätern daher von Beginn an die Möglichkeiten eröffnen, ihre Vorstellungen von Vaterschaft leben zu können. Die gemeinsame Vorbereitung auf die Geburt und das Elternsein sowie Angebote, aktive Vaterschaft und berufliche Entwicklung nicht als Gegensätze zu erleben, sind dabei wichtige Elemente.

Da heute mehr als 35 Prozent der Kinder in nicht ehelichen Gemeinschaften geboren werden und Trennungen und Scheidungen zum Familienalltag gehören, bedarf es ebenso passender Regeln der Vaterschaftsanerkennung wie Bedingungen, die es Kindern ermöglichen, nach einem Scheitern der Partnerschaft ihrer Eltern gleichwertige Beziehungen zu Vater und Mutter aufrecht zu erhalten.

Erfahrungen der Zeit mit Corona nutzen

Die Erfahrungen der letzten zwölf Monate verdeutlichen, dass traditionelle Vorstellungen und Haltungen zum Rollenverständnis der Geschlechter immer noch weit verbreitet sind. Mit dem Blick auf die Zeit nach der Pandemie ist es für die LAG-Väterarbeit deshalb wichtig, nicht einfach an den Februar 2020 anzuknüpfen, sondern aus den Erfahrungen die Konsequenzen zu ziehen, welche Vätern die Wege in die Familie erleichtern und ihnen das Aufrechterhalten von Beziehungen und Bindungen auch nach einer Trennung ermöglichen.

Reformstaus beseitigen

Die LAG Väterarbeit NRW fordert daher, folgende Punkte auf die familienpolitische Agenda zu setzen und zügig in geltendes Recht umzusetzen:

  • Einen Rechtsanspruch auf eine Vaterschaftsfreistellung von 14 Tagen nach der Geburt eines Kindes entsprechend der Vereinbarkeitsrichtlinie der EU,
  • die Weiterentwicklung von Elternzeit und Elterngeld im Sinne einer Ausweitung der Partner- bzw. Väter- Monate und einer mittelfristig anzustrebenden paritätischen Aufteilung der verfügbaren Zeit zwischen den Elternteilen,
  • die automatische Zuordnung des Sorgerechts nach Anerkennung der Vaterschaft sowie
  • eine Änderung des Grundsatzes ‚einer betreut, einer zahlt‘ beim Unterhaltsrechts nach einer Scheidung bzw. Trennung

Einige dieser Themen werden bereits seit mehr als zehn Jahren verfolgt, ohne bis dahin zufriedenstellende Ergebnisse erzielt zu haben. Zur Erklärung der einzelnen Punkte:

Eine Vaterschaftsfreistellung nach der Geburt gibt Vätern von Beginn des Lebens des Kindes an die Möglichkeit, eine sichere Bindung zum Kind aufzubauen, Care-Aufgaben zu übernehmen, sich als Vater zu erleben und die Systemveränderung von der Partnerschaft zu einer Familie aktiv mitzugestalten. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass die Wirkungen dieser Startphase noch nach Jahren in Form eines erhöhten väterlichen Engagements nachweisbar sind.

Bei Elternzeit und Elterngeld fand zuletzt im Jahr 2015 eine echte Weiterentwicklung in Form der ElterngeldPlus-Monate und des Partnerschaftsbonus statt. Eine der Preis- und Lohnentwicklung folgende Anpassung des Elterngeldes in seiner Höhe blieb jedoch aus. Das Basiselterngeld befindet sich mit 300,- € weiterhin auf dem Niveau des Erziehungsgeldes aus den 1990er Jahren.

Die Vorlage des 9. Familienberichts beschleunigt die Diskussion um die Weiterentwicklung der Elternzeit. Der dort formulierte Vorschlag beinhaltet folgende Aspekte:

  • In der Summe bleibt die Dauer von 14 Monaten Elternzeit bestehen
  • Davon werden jeweils 3 Monate dem Vater und der Mutter zugeordnet, 8 Monate können frei verteilt werden (3-8-3 Modell)
  • Den Anreiz für eine partnerschaftliche Aufteilung bildet die Zahlung von 80% des letzten Nettogehaltes in den ersten sieben Monaten. Ab dem achten Monat beträgt die Lohnersatzquote dann 50%. Die Höchstbeträge sollen zukünftig bei 2016 € gedeckelt werden. Die Monate die die Partner bzw. die Väter mindestens nehmen müssen werden auf zwei erhöht.

Das sind richtige Schritte hin zu einer geschlechtergerechten Aufteilung von Erwerbs- und Pflegtätigkeiten. Um Väter zu ermutigen, ihr Erwerbsverhalten nachhaltig zu verändern, ist es nach Auffassung der LAG-Väterarbeit NRW erforderlich, ein „7–7-Modell“ also sieben Monate für den Vater und sieben Monate für die Mutter einzuführen und den Betrag des Elterngeldes deutlich zu erhöhen. In einer Übergangszeit von 3 Jahren kann es möglich sein, 3 Monate zwischen den Eltern zu tauschen.

Rechtsnormen hinken der gelebten Praxis hinterher

Die Zahl der in nichtehelichen Partnerschaften geborenen Kinder nimmt in NRW kontinuierlich zu. Die Rechte unverheirateter Väter sind nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2010 geändert worden. Die LAG Väterarbeit NRW teilt gemeinsam mit Väter- und Bindungsforscher:innen die Überzeugung, dass Väter für die Entwicklung von Kindern wichtig sind. Je früher und fürsorglicher sie diese Aufgabe wahrnehmen können, desto positiver wirkt sich dies auf die Entwicklung der Kinder aus. Vor diesem Hintergrund fordert die LAG eine gesetzliche Regelung, die nichtverheirateten Vätern das Sorgerecht nach der Anerkennung der Vaterschaft automatisch zuerkennt.

Eine solche Regelung des Sorgerechts wird den Kindesinteressen gerecht, sie entspricht den in der Verfassung normierten Elternrechten auch des nichtehelichen Vaters und stärkt die Potenziale für eine gemeinsame und rechtlich verbindliche Sorge. Davon unberührt bleiben die bestehenden gesetzlichen Regelungen für den Fall, das schwerwiegende Gründe der gemeinsamen Sorge entgegenstehen, sodass dem Vater oder der Mutter alleine das Sorgerecht übertragen wird.

Der nach einer Trennung bzw. Scheidung nach wie vor wirksame Grundsatz, ‚einer betreut, einer bezahlt‘, ist nach Auffassung der LAG-Väterarbeit NRW eine Säule traditioneller Rollenzuschreibungen und ein Rückschritt vielfach gelebte Praxis einer partnerschaftlichen Ausübung von Elternschaft. Vor diesem Hintergrund begrüßt die LAG die Vorschläge der Kommission des 9. Familienberichts, den an dieser Stelle seit Jahrzehnten bestehenden Reformstau aufzulösen und die festgefahrene Diskussion, um Residenz- und Wechselmodell pragmatisch aufzulösen. Eine monetäre Anerkennung der Betreuungsleistung soll demnach ab einem Betreuungsumfang von 35 Prozent erfolgen und von einem ‚Wechselmodell‘ bei einem Korridor von 45 bis 55 Prozent gesprochen werden. Dies halten wir für einen gangbaren Weg.

Partnerschaftlich gelebte Elternschaft stärken

Darüber hinaus bedarf es weiterer politische Maßnahmen. Partnerschaftliche elterliche Verantwortungsübernahme ist bereits in intakten Beziehungen eine große Herausforderung. Arbeitswelt, das Kinderbetreuungssystem und Schulen sind dafür jedoch noch längst nicht angemessen ausgestattet. Umso herausfordernder ist die gemeinsame Verantwortungsübernahme nach einer Trennung bzw. Scheidung. Der Rückgriff auf tradierte Rollenmuster verhindert jedoch gleichberechtigte Lösungen und die Aufrechterhaltung und Entwicklung gemeinsam praktizierter Elternschaft. Die Widersprüche zu den persönlichen Leitbildern fördern eine Konfliktlage, die zu den psychologischen und praktischen Aufgaben, die das Trennungspaar ohnehin zu bewältigen hat, noch hinzukommt.

Hier braucht es passende, verpflichtende Beratungsangebote für Väter und Mütter um die Frage der Betreuung der Kinder vor der Trennung bzw. Scheidung zu klären und Eltern dabei zu unterstützen eine tragbare Lösung zu finden.

Die gemeinsame Verwirklichung der Reformen in den vier benannten Bereichen wird nach Auffassung der LAG-Väterarbeit NRW dazu beitragen, die in der Corona-Zeit noch einmal besonders sichtbar gewordenen Lücken zwischen den Vorstellungen der Mehrheit der Väter und Mütter, sich Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich aufzuteilen, und den gelebten Wirklichkeiten zu schließen und die nach wie vor wirksamen traditionellen Rollenzuschreibungen zu beseitigen.

Nicht nur der britische Guardian sieht dafür jetzt die größte Chance nach 1945[1]. Auch in der Befragung, die die LAG Väterarbeit unter ihren Mitgliedern im Mai und Juni 2020 durchgeführt hat, ist dies sehr deutlich geworden.

Die meisten Väter haben flexibel auf die Krise reagiert, neue intensive Erfahrungen mit ihren Partnerinnen und Kindern gemacht, und in den meisten Fällen Veränderungen wie das Home-Office schätzen gelernt. Das partnerschaftliche Rollenmodell hat sich bewährt. Es war und ist richtig, Väter stärker in die Familienarbeit einzubeziehen, und es ist für die Stärkung dieses Engagements bedeutsam, sie noch mehr wahrzunehmen, zu ermutigen und ihnen Möglichkeiten und Räume für gegenseitigen Austausch und Weiterentwicklung zu bieten. [2]

[1] https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2020/nov/19/pandemic-could-lead-to-most-profound-shift-in-parenting-roles-since-wwii-say-experts-coronavirus

[2] https://www.lag-vaeterarbeit.nrw/2020/06/19/re-traditionalisierung-vaeter-engagieren-sich-mehr-in-familie/