Positionen der LAG-Väterarbeit zur geteilten elterlichen Verantwortung nach Trennung und Scheidung

Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir an dieser Stelle noch einmal unsere im Juni 2018 formulierten Positionen zur Doppelresidenz und bekräftigen unsere Überzeugung, dass auch nach einer Trennung eine umfängliche Beziehung zu beiden Eltern für die Entwicklung der Kinder von großer Bedeutung ist

Die LAG Väterarbeit in NRW setzt sich dafür ein, dass:

  • dem Kindeswohl immer die zentrale Bedeutung zukommt,
  • die Rahmenbedingungen verbessert bzw. geschaffen werden, die Eltern (auch) nach einer Trennung die Wahrnehmung geteilter elterlicher Verantwortung für ihre Kinder ermöglichen, insbesondere mit Blick auf Arbeitszeitflexibilität und Kinderbetreuung – auch für Schulkinder sowie eine Kindergrundsicherung eingeführt wird,
  • eine spezifische Beratung für Väter in Trennungs- und Scheidungssituation flächendeckend initiiert und gefördert wird,
  • das „Wechselmodell“ in Familiengerichtsverfahren als eine Option für eine Umgangs- und Sorgeregelung standardmäßig geprüft wird,
  • die implizite familienrechtliche Vorrangstellung des Residenzmodells im heutigen Familienrecht aufgehoben wird,
  • flexible Berechnungsmethoden für die Höhe des Barunterhalts normiert werden, die den gelebten Betreuungsmodellen Rechnung tragen, ohne ein Elternteil oder die Kinder dadurch zu benachteiligen,
  • die Vielfalt von Familien im Trennungsfall – auch rechtlich – anerkannt wird,
  • die unterschiedlichen Angebote der Väterarbeit – unabhängig von der Diskussion zum Wechselmodell – endlich strukturell und staatlich zu fördern, damit Vater- und Partnerschaft gelingen kann.

Begründung

Es entspricht dem Kindeswohl, von Anfang an eine Bindung zu Vater und Mutter aufbauen zu können und beiden zu ermöglichen die Beziehung zu pflegen und ihrer elterlichen Verantwortung nachzukommen. Dies gilt auch nach einer Trennung/ Scheidung, Kinder profitieren von den Unterschiedlichkeiten und den damit verbundenen Ressourcen von Vater und Mutter.

Immer mehr Väter wollen Vaterschaft aktiv leben. Dazu brauchen sie Partnerinnen, die auch als Mütter für ihre eigenständige Existenzsicherung sorgen können und sich gleichermaßen an der materiellen Absicherung der Familie beteiligen. Eine partnerschaftliche Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit tatsächlich leben zu können ist jedoch weniger eine Frage des individuellen Wollens als vielmehr eine Frage der strukturellen Bedingungen.

Hier muss politisch gehandelt werden. Partnerschaftliche elterliche Verantwortungs­übernahme ist aufgrund der gesellschaftlichen Strukturen bereits in intakten Beziehungen eine große Herausforderung. Arbeitswelt, das Kinderbetreuungssystem und Schulen sind dafür noch längst nicht angemessen ausgestattet.

Umso herausfordernder ist die hälftige Verantwortungsübernahme nach einer Trennung bzw. Scheidung. Der Rückgriff auf tradierte Rollenmuster erschwert gleichberechtigte Lösungen und die Aufrechterhaltung und Entwicklung gemeinsam praktizierter Elternschaft. Die Widersprüche zu den persönlichen Leitbildern fördern eine Konfliktlage, die zu den psychologischen und praktischen Aufgaben, die das Trennungspaar ohnehin zu bewältigen hat, noch hinzukommt.

Spezifische Beratungsangebote für Väter kommt hier eine bedeutende Aufgabe zu. Sie kann dazu beitragen, die Bindungen zwischen Kindern und beiden Eltern sowie den Geschwistern, Großeltern, Verwandten und weiteren nahen Bezugspersonen zu sichern, den elterlichen Streit um die Kinder zu verhindern bzw. zu deeskalieren und die Fähigkeit von Vätern und Müttern, die Kinder aus ihren Partnerschaftsangelegenheiten herauszuhalten, zu unterstützen.

Das derzeit vorherrschende Familienmodell nach Trennung bzw. Scheidung ist in Deutschland das sogenannte Residenzmodell. Dieses tradierte Modell basiert auf der überkommenen Annahme, dass Kinder ganz überwiegend von einem Elternteil – in der Regel der Mutter – erzogen und betreut werden und der andere Elternteil – in der Regel der Vater – für das Familieneinkommen sorgt. Der Lebensmittelpunkt des Kindes wird bei dem betreuenden Elternteil gesetzt. Der Vater hat ein Umgangsrecht. Seit der Kindschaftsrechtsreform 1998 gilt dies auch als Recht des Kindes. Der betreuende Elternteil hat den Kontakt aktiv zu fördern.

Die Doppelresidenz ist eine Form, in der gemeinsame Verantwortungsübernahme der Eltern für ihre Kinder auch nach Trennung bzw. Scheidung gelebt werden kann. Bei diesem Modell hat das Kind seinen Lebensmittelpunkt nicht nur bei einem Elternteil, sondern bei Vater und Mutter. Das Modell gemeinsamer elterlicher Verantwortung auch nach dem Scheitern einer Partnerschaft ist in Europa z.B. in Frankreich, Großbritannien, Italien, und in den skandina­vischen Ländern bereits gesetzlich verankert, d.h. rechtlich mindestens auch als Möglichkeit vorgesehen.

Der Bundesgerichtshof versteht unter dem „Wechselmodell“ bislang eine hälftige Aufteilung der Betreuung zwischen den Eltern. Es ist jedoch ein seltener Idealfall, dass sich die Eltern alle Aufgaben und Pflichten strikt paritätisch teilen. In anderen Ländern wird das Modell geteilter Elternschaft weicher gefasst, ab einer zeitlichen Betreuungsquote von rund einem Drittel pro Jahr. Diese Bandbreite ermöglicht es Vätern und Müttern, die alternierende Betreuung ihren jeweiligen beruflichen und persönlichen Anforderungen sowie den Bedürfnissen der Kinder anzupassen ohne den Grundsatz der gemeinsamen elterlichen Verantwortung aufgeben zu müssen.

Der Staat hat die Aufgabe, Männer in der Neukonzeptualisierung ihrer Väterrolle auch materiell zu fördern. Familien brauchen Unterstützung vor allem in den kritischen Phasen, die Väter heute allzu oft auf ihre Ernährerfunktion zurückwerfen. Unternehmen, Gewerkschaften und Einrichtungen der Wohlfahrtspflege kommt in diesem Kulturveränderungsprozess eine bedeutsame Rolle zu. Es braucht systemische Angebote, die Väter über alle Phasen der Vaterschaft ermutigen, begleiten und stärken. Familienbildungs- und -beratungsangebote müssen darauf ebenfalls vorbereitet und ausgestattet sein.