Ich sehe Anzeichen dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind

Interview mit Stefan Hallen zum Programm ‚Caring Dads‘

Stefan, du arbeitest an der Fachberatungsstelle für Familien mit Gewalterfahrung der Diakonie in Düsseldorf und leitest dort unter anderem das Gruppenangebot ‚Caring Dads‘.
Wie sieht dein Arbeitsalltag dort aus?

Die Fachberatungsstelle für Familien mit Gewalterfahrung der Diakonie Düsseldorf arbeitet als Jugendhilfeeinrichtung auf den Grundlagen der Hilfen zur Erziehung. Insofern gibt es immer auch Helferkonferenzen, Hilfeplangespräche, Berichte, Dokumentation, kollegiale Beratung und Austausch mit weiteren Beteiligten, Fortbildung usw. Die 4 Stunden Gruppenangebote für Männer pro Woche sind mir dabei die Liebsten! Natürlich nehmen auch die Klärungs- und Einzelgespräche mit den Klienten viel Raum ein. Dazu gehört bei uns auch die Kontaktaufnahme zu den von Gewalt betroffenen (Ex-) Partnerinnen unserer Teilnehmer, bzw. beim Caring Dads Vätertraining, mit den Müttern der Kinder.

Wie hat sich die Nachfrage nach Beratung und Unterstützung in den vergangenen Jahren und insbesondere seit März 2020 entwickelt?

Die Anfragen von Vätern über die Teilnahme an einem Caring Dads Vätertraining kommen in der Regel über die Bezirkssozialdienste (BSD). Selten finden Väter aus freien Stücken (sog. „Selbstmelder“) den Weg in unsere Beratungsstelle. Bis 2020 war die Teilnahme am Vätertraining ausschließlich über HzE und unter entsprechenden Strukturvorgeben möglich. Das bedeutete u.a., dass ein Vater erst HzE beim Jugendamt beantragen musste. Nicht sorgeberechtigte Väter wurde teilweise dadurch die Teilnahme verwehrt, bzw. sie mussten sich mit der sorgeberechtigten Mutter des Kindes einigen (oft nach strittigen Trennungen), oder die KM musste vom BSD oder von uns davon überzeugt werden, einen HzE Antrag einzureichen. 2021 hat die Diakonie Düsseldorf mit dem Jungendamt ein Modell für eine pauschale Refinanzierung für 19 Düsseldorfer Väter pro Jahr vereinbart. Seitdem ist die Anzahl der Selbstmelder gestiegen und auch die Anfragen insgesamt angestiegen.

Wir konnten für das Vätertraining keinen Anstieg von Pandemie bedingten Anfragen feststellen – und überraschenderweise auch nicht für die Sozialen Trainingskurse nach Häuslicher Gewalt.

Covid hat aber insofern inhaltlich Auswirkungen auf unsere Beratungsangebote, dass mehr Väter berichten, dadurch familiär stark belastet zu sein.

Caring Dads ist ja vor über 20 Jahren in Kanada entwickelt worden und Edgar Schulz hat das Gruppenprogramm bei der Diakonie eingeführt.
Was ist das Besondere an diesem Interventionsprogramm?

Das Programm ist in den letzten Jahren auch weiterentwickelt worden. Das dazugehörige Manual (das von der Diakonie Düsseldorf 2011 ins Deutsche übersetzt wurde und vertrieben wird), ist inzwischen in der dritten, überarbeiteten Auflage. Wir bieten auch Schulungen dazu an.

Eine „äußerliche“ Besonderheit ist ja, dass Caring Dads bisher nur in 3 Regionen Deutschlands überhaupt angeboten wird: in etwas veränderter Form vom Männerbüro Hannover und eher selten schon mal im Main-Taunus-Kreis. Meines Wissens sind wir die Einzigen, die das Programm seit 2008 regelmäßig vorhalten. Zur Zeit. läuft bei uns die 21. Gruppe (mit 10 TN).  Insgesamt haben bisher 146 Väter das Caring Dads Vätertraining in Gruppe beendet, plus etliche in Einzelsettings (tlw. mit Dolmetscher).

Ich habe meine beruflichen Erfahrungen zuvor ja vor allem in der Jungen- und Täterarbeit gemacht. Eine „innere“ Besonderheit des Programms ist für mich deshalb, dass Väter mit Fehlern ihrer Vergangenheit unterstützend konfrontiert werden, es aber vor allem darum geht, „Welche Auswirkungen hat das wohl auf ihre Kinder?“. Ein wichtiger Teil dabei ist auch die Verdeutlichung von transgenerationaler Weitergabe von Gewalt oder dysfunktionalen Verhaltensweisen in den Familien. Das kann für die Teilnehmer erschütternd sein, ist aber häufig der nötige Schlüssel zur Einsicht, etwas ändern zu müssen. Fast alle unsere Klienten haben Vorerfahrungen mit familiärer Gewalt – auch die Täter! Manchmal sage ich zu Vätern: „Wenn sie auf der Hochzeit ihrer Tochter tanzen wollen, müssen sie heute dafür sorgen, dass sie auch eingeladen werden.“ Das kommt auch noch von Edgar Schulz J

Die 17 Module des Trainings lasen sich in 4 Grobziele bündeln:

  1. Die Väter sollen genügend Vertrauen entwickeln und motiviert werden, sich aktiv mit ihrer Vaterrolle auseinanderzusetzen
  2. Die Väter sollen ein stärkeres Bewusstsein für kindzentriertes Erziehungsverhalten entwickeln. Wir unterscheiden zwischen kindzentriertem und elternzentriertem Verhalten, das ist ganz spannend, sich damit zu beschäftigen, führt aber hier zu weit
  3. Die Väter sollen ein stärkeres Bewusstsein und größeres Verantwortungsgefühl für ihr schädigendes Verhalten entwickeln und die Auswirkungen auf Kinder erkennen
  4. Sie sollen das Gelernte festigen, verlorengegangenes Vertrauen wieder aufbauen und Zukunftspläne schmieden.

Was mir jedes Mal wieder gut gefällt, ist der Moment, in dem die Väter erkennen, dass sie nicht ohnmächtig dem System ausgeliefert sind (auch wenn es ihnen oft schwergemacht wird), sondern dass sie selbst etwas dafür tun können, bzw. es in der Hand haben, die Beziehung zu ihren Kindern zu verbessern – dazu gehört aber die Verantwortungsübernahme für vergangenes Fehlverhalten.

Wie sind die Wirkungen auf die teilnehmenden Väter? Gibt es eine systematische Evaluation des Programms?

Die Teilnehmer durchlaufen unterschiedliche Gruppenphasen, deshalb ist das Programm so aufgebaut, dass die eher konfrontative Auseinandersetzung mit dem eigenen schädigenden Verhalten erst an dritter Stelle kommt. Die Väter kommen meist mit Skepsis oder Widerständen, da ist Beratungsgeschick gefragt. Die Annahme, ein super Vater zu sein, wenn bloß die dazugehörige Mutter nicht so nerven würde, ist weit verbreitet. Unserer Prämisse „Wenn sie der Mutter ihres Kindes Schaden zufügen, schaden sie damit auch ihrem Kind“ stellt für Väter oftmals eine bittere Pille dar – ihre Entscheidung darüber, diese zu verweigern oder zu schlucken ist aber richtungsweisend.

Es gibt immer auch die Möglichkeit, zusätzlich Einzelgespräche zu vereinbaren. Manchmal müssen wir auch im Hinblick auf Kinderschutz das Setting ändern. Unsere Kursangebote sind ja keine primären Instrumente zur Abwendung drohender Kindeswohlgefährdung. Aber dazu gibt es vor Kursbeginn ja auch eine Vorphase, die mindestens 3 Einzelgespräche umfasst.

In der Regel führt das Training dazu, dass die Väter sich mehr und mehr öffnen, Perspektiven erkennen, Lösungen entwickeln.

Nach Kursabschluss erleben wir oftmals Erleichterung und Dankbarkeit bei den Teilnehmern. Für die meisten war es auch ihre „erste Männergruppe“.

Von Rückfällen in schädigendes Erziehungsverhalten hören wir nur selten. Wir gehen davon aus, dass die Erfolgsaussichten ähnlich sind, wie bei den Sozialen Trainingsprogrammen nach Häuslicher Gewalt, wo man von etwa 70 bis 80 % der Absoventen ausgeht, die nicht in gewalttätige Verhaltensweisen zurückfallen.

Das Vätertrainingsprogramm wurde in der Pilotphase vom Deutschen Jugendinstitut wissenschaftlich begleitet und evaluiert. In der Zusammenfassung heißt es:

„Caring Dads ist ein Interventionsprogramm für gewalttätig gewordene oder vernachlässigende Väter. Seit 2008 wird dieses aus Kanada stammende Programm in Deutschland durchgeführt. Eine Evaluation des Programms sollte die Wirksamkeit in Bezug auf Prävention von Kindesmisshandlung und Vernachlässigung prüfen. Dafür wurden 45 Prä- und Post Interventionsfragebögen ausgewertet. Es konnte gezeigt werden, dass positive Ergebnisse, wie günstigeres Erziehungsverhalten und abnehmendes Aggressionsverhalten, zu verzeichnen sind. Die positiven Ergebnisse wurden durch Selbstberichte der Mütter validiert, die eine Zunahme an Lebensqualität in einigen Bereichen berichten. Eine Nachbefragung ehemaliger Teilnehmer konnte zudem zeigen, dass Väter das Programm rückblickend als positiv und hilfreich bewerten. Zudem berichten sie zu 70-100%, dass sie die zentralen Ziele des Caring Dads Programms, wie Verbesserung der Beziehung zum Kind und Veränderung von Erziehungsprinzipien, erreicht haben. Ein Vergleich mit Ergebnissen aus Kanada konnte zeigen, dass sich die Ergebnismuster der beiden Länder im Allgemeinen gleichen und das Programm aus dem kanadischen in den deutschen Raum übertragbar zu sein scheint. Implikationen und Limitationen werden diskutiert.“[i]

Was wünschst du dir in Sachen ‚familiäre Gewalt‘ an Unterstützung durch Politik und Gesellschaft?

Ich sehe Anzeichen dafür, dass wir zumindest gesellschaftlich da auf dem richtigen Weg sind. Es passiert bereits Vieles. Inwieweit das politisch gesteuert wird, kann ich nicht einschätzen. Ich meine hier z.B. die zunehmende Vielfalt von Lebensentwürfen, ‚Me-too‘, ‚Black Lives Matter‘, Enttabuisierung von Transgeschlechtlichkeit, Null-Toleranz Bestrebungen bei Belästigung und Mobbing… politisch sind auch die zunehmende Förderung der Männergewaltschutz Einrichtungen in den letzten Jahren, sowie natürlich die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung häuslicher Gewalt zu nennen. Gewalt hat einen mächtigen Verbündeten – das Schweigen darüber. Wenn wir weiter daran arbeiten, das Schweigen zu brechen, Gewalt und Missbrauch sichtbar machen, Opfer-, Präventions- und Unterstützungsangebote stärken, bleibt mir noch Hoffnung. Aber ein Blick in Unterkünfte für geflüchtete Familien kann solche Hoffnung sofort zunichtemachen. Was da zurzeit geschieht ist katastrophal. Was alles aber dort nicht geschieht ist skandalös!

Vielen Dank für das Gespräch

[i] Dr. Valerie Heintz-Martin, B. Sc. Marlene Koch: Abschlussbericht für das Deutsche Jugendinstitut – Wirkung des Caring Dads Programms zur Prävention von Kindesmisshandlung und Vernachlässigung mit Vätern in Deutschland; 2016