Warum Väter in Deutschland nach der Geburt freigestellt werden sollten

Eine EU-Richtlinie sieht zehn Tage Vaterschaftsurlaub direkt nach der Geburt des Kindes vor. In Deutschland findet diese aber keine Anwendung. Wir erklären die Hintergründe und sagen, wie sich etwas ändern könnte

Über Mutterschaftsurlaub müssen wir in Deutschland nicht diskutieren: 6 Wochen vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin und 8 Wochen nach der Geburt ist die Mutter von der Arbeit freigestellt – dafür sorgt schon das Mutterschutzgesetz, kurz MuSchG. Ein Äquivalent für Väter gibt es in Deutschland bisher aber noch nicht – und darüber kann man vortrefflich diskutieren, denn in der Tat gibt es eine EU-Richtlinie, die dieses vorsieht. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu diesem Thema. Plus: Welche Petition sich jetzt für Väter stark macht.

Was ist der Unterschied zwischen Vätermonaten und Vaterschaftsurlaub?

Der Begriff „Vätermonate“ wurde in Deutschland mit der Einführung von Elternzeit und Elterngeld im Jahr 2007 populär. Leider ist er aber etwas irreführend – gemeint sind nämlich die sogenannten zusätzlichen „Partnermonate“, die genommen werden können, wenn sich Mutter und Vater die Betreuung des Kindes aufteilen. Zur Erinnerung: Wenn nur einer von beiden zu Hause beim Kind bleibt, bekommt er 12 Monate lang Elterngeld vom Staat, teilen sich beide die Elternzeit erhöht sich die Dauer auf 14 Monate, vorausgesetzt beide nehmen mindestens jeweils zwei Monate. Das bedeutet aber nicht, dass zwingend immer die Frau 12 Monate und der Mann 2 Monate nehmen muss – es kann auch genau umgekehrt sein. „Vaterschaftsurlaub“ ist dagegen ein Begriff, der fest an besagter EU-Richtlinie gebunden ist. „Wobei viele in diesem Zusammenhang auch gerne von Vaterschaftsfreistellung sprechen“, sagt Hans-Georg Nelles, Sozialwissenschaftler aus Köln und Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit in NRW. Die Wortklauberei hat einen guten Grund: Alle, die schon mal eine längere Zeit mit einem kleinen Kind zu Hause waren, wissen, dass man das eigentlich nicht guten Gewissens als „Urlaub“ bezeichnen kann.

Und was ist mit Sonderurlaub für Väter nach der Geburt?

Ja, auch darauf hat man einen gesetzlichen Anspruch – und zwar findet sich der im Paragraph 616 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Dort ist allerdings nicht festgeschrieben, wie viele Tage genommen werden können, in der Praxis wird dem Arbeitnehmer deshalb oftmals nur ein einziger Tag Sonderurlaub gewährt. Und auch nicht alle Väter kommen in diesen Genuss: Unverheiratete Männer haben vom Gesetz her keinen Anspruch auf Sonderurlaub bei der Geburt (Urteil vom 18.01.2001 des Bundesarbeitsgerichts). Sinnvoll ist in diesem Falle übrigens auch ein Blick in den Arbeitsvertrag, in die Betriebsvereinbarung oder in den Tarifvertrag: Da immer mehr Unternehmen auf Familienfreundlichkeit setzen, können hier auch zwei bis drei Tage Sonderurlaub für den frischgebackenen Vater festgeschrieben sein.

Was besagt die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie über Vaterschaftsurlaub?

„Eine im Jahr 2019 beschlossene EU-Vereinbarkeitsrichtlinie sieht in allen Ländern zehn Tage bezahlten Vaterschaftsurlaub für Väter direkt nach der Geburt des Kindes vor“, erklärt Väter-Experte Nelles. Genauer gesagt geht es um die „EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige (2019/1158)“. Einige Staaten haben diese schon umgesetzt, andere – wie Deutschland – bisher nicht. Noch ist aber auch noch etwas Zeit dafür: Umgesetzt werden muss die Richtlinie erst im August 2022. Aber gerade in Deutschland ist das ein strittiger Punkt und es gibt zwei Lager.

Warum wird die Richtlinie in Deutschland nicht umgesetzt?

Nach aktuellem Stand will die Bundesregierung die Richtlinie nicht in deutsches Recht umsetzen. Die Begründung: Die bestehenden Gesetze, die sich auf Elterngeld und Elternzeit beziehen, reichen bereits aus. „Das Elterngeld stelle Mütter und Väter bereits besser, als es die EU-Richtlinie vorsieht“, heißt es aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Partner könnten direkt nach der Geburt schließlich gemeinsam bis zu 14 Monate Elterngeld bekommen. Das beträgt bis zu 1800 Euro pro Monat. Auf Nachfrage der Tageszeitung „Welt“ liefert das Ministerium eine weitere erstaunliche Erklärung. Es stelle sich die Frage, ob der zehntägige Vaterschaftsurlaub das Ziel des Elterngeldes „vielleicht sogar konterkariere“. Viele Väter nähmen ihre Elternzeit unmittelbar nach der Geburt für einen längeren Zeitraum. „Bei einem zehntägigen Vaterschaftsurlaub ist zu befürchten, dass Väter sich dann eben nur diese zehn Tage Urlaub nehmen, um einen möglichen Konflikt mit dem Arbeitgeber zu vermeiden“, so eine Sprecherin.

Gibt es irgendwann doch Vaterschaftsurlaub?

Ein Rechtsgutachten widerspricht jetzt der Bundesregierung. Dieses hat der Arbeitsrechtler Professor Stefan Treichel von der Hochschule Emden/Leer im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) erstellt. Dem Gutachten mit dem Titel „Zur Notwendigkeit einer Umsetzung der Vereinbarkeitsrichtlinie 2019/1158 vom 20. Juni 2019 in das geltende Arbeits- und Sozialrecht“ zufolge sind die geltenden Regelungen in Deutschland nicht ausreichend, um die Vereinbarkeitsrichtlinie umzusetzen. Diese nennt explizit den Zeitraum der Geburt als Anlass für die Freistellung. Das Elterngeld diene demnach vor allem dem Ziel, dass Väter und Mütter ihren Beruf ausüben können, weil sich der jeweils andere ums Kind kümmert. Die Vaterschaftsfreistellung aber soll zu einer frühen Bindung zwischen Vätern und ihren Kindern und einer gleichmäßigen Aufteilung der Betreuung zwischen den Partnerinnen beitragen. Im Gutachten heißt es daher, dass „zweckmäßig, ein eigenständiges ‚Vaterschaftsurlaubsgesetz‘ einzuführen“ ist. Das Gehalt müsste während der Vaterschaftsfreistellung zu 100 Prozent weitergezahlt werden.

„Das ist ein eindeutiger Handlungsauftrag“, sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. „Wir brauchen die Vaterschaftsfreistellung zur Geburt, sie ist ein wesentlicher Punkt für die Vater-Kind-Bindung und neben dem Elterngeld ein wichtiger Anreiz für Väter, sich partnerschaftlich an der Kinderbetreuung zu beteiligen.“ Der DGB rechnet nun damit, dass die Ablehnung Folgen haben könnte. Deutschland müsse die Richtlinie bis August 2022 umsetzen. Ansonsten drohe ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission, die Bußgelder verhängen und andere Maßnahmen ergreifen könne. Ähnlich sieht es Väter-Experte Nelles und befürchtet: „So ein Verfahren kann sich über viele Jahre hinziehen und den Vaterschaftsurlaub in Deutschland in weite Ferne rücken lassen.“

Was sind die Vorteile von Vaterschaftsurlaub?

„Ein gesetzlicher Anspruch hätte zwei große Vorteile“, sagt der Hamburger Unternehmensberater Volker Baisch von der Väter gGmbH, der sich auf das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Vätern spezialisiert hat. „Die Väter bräuchten die Auszeit nicht zu beantragen und wären gleich im Wochenbett präsent und könnten ihre Partnerin unterstützen, was ein erster Schritt hin zu mehr Partnerschaftlichkeit wäre. Außerdem könnten Väter früh eine enge Bindung zum Kind aufbauen.“

Eine bessere Vater-Kind-Bindung ist aber nicht der einzige Vorteil eines zehntägigen bezahlten Vaterschaftsurlaubs in Deutschland. „Zu erwarten ist außerdem, dass sich dies auch positiv auf den immer noch viel zu großen Gender Care Gap auswirkt“, sagt DGB-Vorsitzende Elke Hannack. „Denn für die Kindererziehung oder die Hausarbeit wenden Frauen pro Tag im Schnitt über 50 Prozent mehr Zeit auf als Männer.“

Eine weltweite Studie des Beratungsunternehmens Ernst & Young und dem in Washington ansässigen Peterson-Institut für Internationale Wirtschaft hat außerdem ergeben, dass die Länder mit den höchsten Anteil von Frauen in Führungspositionen, Vätern elfmal mehr Vaterschaftsurlaubstage anbieten. „In Ländern, die familienfreundlicher sind und mehr Unterstützung bei der Geburt und Erziehung haben, schaffen es Frauen eher an die Spitze“, sagte Marcus Noland, Studiendirektor des Peterson Institutes. Interessanter Nebenaspekt: „Je mehr Frauen in der Chefetage sind, desto profitabler ist das Unternehmen“, so Noland.

Welche europäischen Länder haben schon Vaterschaftsurlaub?

Jedes Land macht es ein bisschen anders. In Schweden zum Beispiel, das gerne als Vorbild bei diesem Thema herangezogen wird und schon Anfang der 1970er ein ähnliches Elternzeit-System eingeführt hat wie Deutschland, besteht zusätzlich zum Anspruch auf Elternzeit ein Recht auf 10 Tage Freistellung für Väter innerhalb der ersten drei Monate nach der Geburt, bei Lohnersatz in Höhe von 80 Prozent. Im Nachbarland Frankreich besteht zusätzlich zur Elternzeit ein Anspruch auf 11 Tage Freistellung für Väter innerhalb der ersten vier Monate nach der Geburt, der in Höhe des französischen Mutterschaftsgelds bezahlt wird. Zuletzt schauten aber alle bei dem Thema Vaterschaftsurlaub nach Spanien: Seit 1. Januar 2021 haben Väter dort Anspruch auf eine ebenso lange Elternzeit wie Mütter, nämlich 16 Wochen. Die ersten sechs Wochen Elternzeit unmittelbar nach der Geburt sind für die Väter sogar obligatorisch. Zudem erhalten beide Eltern vollen Lohnausgleich.

Fazit: Petition „Vaterschatsfreistellung jetzt“ unterzeichnen

DGB-Expertin Hannack: „Spätestens die nächste Bundesregierung muss das Thema Vaterschaftsurlaub angehen.“ Vielleicht tut sich aber auch schon früher etwas: Anfang Juni fand im Familienausschluss des Bundestages eine Anhörung zur Umsetzung der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie statt, unter anderem mit Arbeitsrechtlerin Sandra Runge vom Deutschen Juristinnenbund als Sachverständige, die vor ein paar Monaten die Initiative #proparents gegründet hat, um sich gegen die Diskriminierung von Eltern stark zu machen. Zudem ist gerade eine Petition an den Start gegangen: Unter www.vaterschaftsfreistellung.de fordern die Initiatoren, unter anderem Holger Strenz von www.papaseiten.de, eine Vaterschaftsfreistellung von 10 Tagen für alle Väter mit Lohnfortzahlung – am besten gleich unterzeichnen und weitersagen.

Quelle

Marco Krahl