„Es bedarf einer mutigen Reform“ – Interview mit Martin Bujard (Politikwissenschaftler und Soziologe,
Forschungsdirektor, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung,) über die Rolle der Väter in Vereinbarkeitsmodellen von Familie und Beruf
Herr Bujard, die eaf bündelt die vielen evangelischen Institutionen im Bereich Familie und gibt ihnen eine Stimme gegenüber der Politik. Dabei geht es um Kinderrechte und Kinderschutz, um Unterstützung für Familien und um Elternschaft mit all ihren Anforderungen und Bedürfnissen. Was macht die Tagung „Männer Leben Beruf“ für Sie als Präsident der eaf interessant und wo sehen Sie die Berührungspunkte?
Martin Bujard: Die Debatten um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden vielfach auf Frauen, auf Mütter reduziert. Dabei sind Väter ein Schlüssel, damit Vereinbarkeitsmodelle gelingen. Das ist lange unterschätzt worden, auch die Politik hinkt hier teilweise hinterher. Wir dürfen Männer nicht als „Bystanders“ in diesem Diskurs betrachten, der sie eigentlich nichts angeht, sondern müssen sie mit hineinholen. Das genau macht die Tagung, indem sie Väter in den Mittelpunkt stellt. Das ist gut! Denn wir brauchen bei diesem Thema mehr kulturelle Akzeptanz, vor allem auch bei den Arbeitgebern.
Im Einladungstext wird nicht nur auf Väter, sondern genereller auf die „Bedürfnisse eines veränderten Männerlebens“ Bezug genommen. Wie nehmen Sie diese wahr?
„Das Männerleben“ gibt es natürlich nicht, aber es gibt schon gewisse Generationenerfahrungen, die sich in der Tat verändern. Die mittlere Männergeneration hat jetzt 13 Jahre Elterngeld erlebt – diese Möglichkeiten hatten ihre Väter – die Großvätergeneration – nicht. Leider nutzt nur ein gutes Drittel der Väter Elternzeit. Diejenigen aber haben in der Elternzeit erfahren, dass es beglückend ist, sich in die Familie einzubringen, die Fürsorge für die Kinder mit zu übernehmen. Väter arbeiten zum Teil mehr als Männer ohne Kinder im Beruf, mit Familienarbeit kommen viele auf bis zu 60-70 Stunden pro Woche, um aktive Väter zu sein. Wie Mütter sind sie in der Rushhour des Lebens, wenn die Kinder klein sind. Häufig können Väter ihren Wunsch, ein aktiver Vater zu sein, aber nicht so umsetzen, wie sie möchten. Die noch jüngere Männergeneration ist mit einem egalitären Weltbild groß geworden: Sie möchten die Dinge gern partnerschaftlich regeln und für beide ein erfüllendes Berufs- und Privatleben realisieren. Aber sobald Kinder da sind, stellen sie fest, dass Wunsch und Wirklichkeit nicht leicht in Einklang zu bringen sind.
Kommt hier Ihr Konzept der „dynamischen Familienarbeitszeit“ ins Spiel, mit dem Sie im Tagungsprogramm angekündigt sind?
Ja, das Konzept sieht vor, eben diese Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu reduzieren. Vereinbarkeit findet im Lebenslauf statt. Wenn die Kinder sehr klein sind, ist der Bedarf an Zeit für Fürsorge sehr groß. Heute sieht das dann meist so aus, dass Mütter halbtags Erwerbsarbeit nachgehen und Väter voll und mehr arbeiten. Deshalb schlagen wir mit der dynamischen Familienarbeitszeit einen Korridor vor, der etwa bis zum Schuleintritt der Kinder greifen soll und in dem beide Elternteile 60-90 Prozent, also in vollzeitnaher Teilzeit arbeiten. Ganz wichtig wäre, dass dabei die unterliegenden Vorstellungen von Karriere bei den Arbeitgebern sich ändern. In der Rushhour des Lebens muss es für Männer und Frauen möglich gemacht werden, bei temporär reduzierter Arbeitszeit keine Karriereeinbußen zu erleiden und partnerschaftlich Familie zu leben. Wir lesen seit Jahren die immer gleichen Ergebnisse in Umfragen, dass Männer mehr Zeit für die Familie möchten und viele Frauen gern stärker am Berufsleben teilhaben würden. Das müssen wir nun endlich in die Realität umsetzen, da bedarf es einer mutigen Reform.