Bindungstheorie wird ihren Ansprüchen nicht gerecht

In einer Kolumne der aktuellen Ausgabe von Psychologie Heute äußert die Entwicklungs- und Kulturpsychologin Heidi Keller scharfe Kritik an der populären Bindungstheorie:

„Die Bindungstheorie reklamiert einen Universalitätsanspruch, den sie nicht einlöst. Denn in Wahrheit basiert sie ausschließlich auf dem Muster der westlichen Mittelschichtfamilie: Erwachsene sind Bindungspersonen, Interaktionen sind exklusiv, dyadisch, Emotionen werden geäußert, und das Verhalten der Bezugsperson ist am Kind orientiert. Dieses Muster trifft für die Mehrheit der Weltbevölkerung nicht zu, wie vielfach dokumentiert.

Dennoch macht die Bindungstheorie Vorgaben, wie eine gute Bindung zu sein hat. Dies stellt hohe Anforderungen an die Bezugsperson, die ja in diesem System verantwortlich ist: Die geforderte uneingeschränkte emotionale Verfügbarkeit und das unbedingte fein­fühlige Reagieren überfordern viele Mütter – bis hin zu der Entwicklung schwerwiegender psychiatrischer Symptome. …

Die Bindungsforscher betonen zwar wiederholt, mittlerweile werde in der Theorie auch die Möglichkeit mehrerer Bezugspersonen zugelassen – doch diese werden in einer Hierarchie gesehen, in der die Mutter ganz vorne steht. Entsprechend wird es auch in der Praxis gehandhabt, ungeachtet des tatsächlichen Beziehungsnetzwerks eines Kindes. Die Bindungstheorie bedient ein bestimmtes Familienbild, das im wahrsten Sinne des Wortes weltfremd ist.“

Diejenigen die an die zweite Stelle oder an noch weiter hinten liegende Plätze in der Hierarchie verwiesen werden, sind die Väter, die im Falle einer Trennung dann oft den Kontakt zum Kind verlieren, weil so die Theorie, die Bindung zur ‚primären Bezugsperson‘ gestärkt werden müsse.

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